Rächen und Verzeihen

Vergelten und Vergeben sind Themen so alt wie die Menschheit. Im Alten Testament wird die These vertreten man solle „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ Vergeltung üben. In der Bergpredigt wendet sich Jesus gegen das Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und fordert „dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern wenn dir jemand einen Streich gibt auf deine rechte Backe, dem biete die andere auch dar“. Welches ist nun das richtige Prinzip oder hat jedes seine Berechtigung? - Für einen gläubigen Christen gibt es da keine Frage, denn Jesu Worte sind eindeutig. Was ist aber mit denen, die nicht glauben oder einem anderen Glauben anhängen, können die etwas aus den Worten gewinnen? - Ich möchte hier eine Deutung geben, beiden Prinzipien Raum lässt., ohne dass es eine Belohnung im Himmel oder einer Übergeordneten Instanz bedarf. Wann sollte man also Verzeihen und dem Übel nicht widerstreben und wann ist es besser „Auge um Auge“ Vergeltung zu üben?

Verzeihen

Welche Funktion hat Verzeihen und Vergeben?

Kooperation ist das, was uns Menschen so erfolgreich macht. Wir können in der Regel deutlich mehr erreichen, wenn wir kooperieren. Durch Vergeben kann eine zukünftige Kooperation ermöglicht werden. Der zusätzliche Nutzen dieser Kooperation ist mit dem Schaden zu vergleichen, der entstanden ist. Ist zu erwarten, dass die Kooperation unter Berücksichtigung des Schadens vorteilhaft ist, so wäre es sinnvoll zu vergeben. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass vergeben einen Anreiz dazu geben kann, dass der Kooperationspartner versucht denjenigen der Vergibt zu übervorteilen.

Wann sollte man also Verzeihen?

Zunächst kann man bedenkenlos verzeihen, wenn man weiß, dass das erlittene Übel nicht beabsichtigt war und der Verursacher sich bemühen wird, ähnliches in Zukunft zu vermeiden. Wiedergutmachung kann das Vergeben ebenfalls begünstigen. War das Übel beabsichtigt, oder geht zumindest der Geschädigte davon aus, dass es beabsichtigt war, so ist eine Wiedergutmachung eine Notwendigkeit, bevor vergeben werden kann. Wenn etwas nicht wieder gut gemacht werden kann, so sollte erst dann vergeben werden, wenn eine Wiedergutmachung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht wurde.

Rächen

Welche Funktion hat Rache?

Vergeltung hat die Funktion der Kontrolle und Disziplinierung. Wer mit Rache rechnen muss, wird sich mehr um gerechtes Verhalten bemühen um so Anlässe für Rache zu vermeiden. Da es häufig nicht möglich ist, direkt Rache zu üben und um dennoch die Funktion der Disziplinierung und Kontrolle beizubehalten bietet es sich an, dass Rache auch zu einem viel späteren Zeitpunkt genommen werden kann. Es ist aber sinnvoll dafür zu sorgen, dass derjenige, an dem man sich rächt, weiß, wofür er die Rache zu erleiden hat, oder aber das Umfeld weiß warum die Rache genommen wurde um so eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Wann ist Vergeltung Notwendig?

Rächen ist dann notwendig, wenn davon auszugehen ist, das der Verursacher, bei einer ausbleibenden Reaktion weitere Verhaltensweisen an den Tag legen wird, die dem Geschädigten Schaden verursachen.

Was wird der Verursacher tun?

Was ist mit all den Fällen dazwischen, wo man sich ohne weiteres nicht sicher ist, wie sich der Verursacher in Zukunft verhalten wird?

Als erstes sollte man dem Verursacher Zeit geben sich zu entschuldigen und seine Sicht der Dinge dar zu legen. Geschieht dies nicht, und verweigert der Verursacher einen Dialog, so sind dies deutliche Anzeichen dafür, dass Vergeltung die richtige Reaktion ist, um den Verursacher in seine Schranken zu verweisen und sich vor weiterem Schaden zu schützen.

Relativ sicher sein kann man, dass der Verursacher seine Taten bereut und sie nicht wieder tun wird, wenn der Verursacher aktiv versucht den Schaden wieder gut zu machen und bereit ist einen ähnlichen bzw. höheren Schaden bei sich zu dulden oder zu ertragen, wenn er von dem Geschädigten verursacht wird. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, ist vergeben sinnvoll.

Welche Rolle spielen Recht und Gesetz?

Rache birgt eine große Gefahr, nämlich der eines Rachekreislaufs. Person A fühlt sich von Person B ungerecht behandelt bzw. verletzt, deshalb rächt sich A an B. B empfindet diese Rache wieder als ungerecht und rächt sich wiederum an A, …. Der Kreislauf ist offensichtlich und hat des öfteren in (Blut-)Fehden gemündet, aus denen sich die Beteiligten nicht mehr befreien konnten. An dieser Stelle kommen Recht und Gesetz ins Spiel. Aufgabe von Recht und Gesetz und damit der Justiz ist es nun objektiv fest zu stellen, ob A wirklich ungerecht behandelt wurde und die ungerechte Behandlung dann nach einem gesellschaftlich als angemessen angesehenen Maß zu ahnden und diesen Maßstab dann auch gegenüber beiden Seiten so zu rechtfertigen, dass sie die Entscheidung als gerecht empfinden können. Auf diese Weise können Rachezyklen und Fehden vermieden werden. Erfüllen Recht und Gesetz, diese Anforderungen nicht, so ist damit zu rechnen, dass sich entweder B ungerecht behandelt fühlt und sich an A rächen wird oder B sich ungerecht behandelt fühlt und sich an A rächen wird. Ob die jeweilige Rache dann wieder von einem Gericht behandelt werden muss oder nicht justiziabel ist, hängt von der Person ab, die Rache nimmt. Auch kann es sein, dass wenn Recht und Gesetz in einem Staat nicht mehr dazu dienen für Gerechtigkeit zu sorgen, die Bevölkerung beginnt diese abzulehnen, sie immer weniger oder nicht mehr beachtet, ihre Durchsetzung behindert, das Gesetz selbst in die Hände nimmt oder versucht einen gesellschaftlichen Umsturz herbei zu führen.

Wie kann man einen Rachekreislauf durchbrechen?

Ist erst mal ein Rachekreislauf entstanden, so ist er schwer zu durchbrechen. Es gibt aber mindestens die folgenden Möglichkeiten:

  1. Sich nicht mehr zu Rächen und das was die Gegenseite tut einfach hin zu nehmen, bzw. sich darauf zu konzentrieren den Schaden zu begrenzen. Irgendwann werden die Rachegelüste gestillt sein und der Kreislauf ist durchbrochen. Jedenfalls wenn man dies durchhält. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Gegenseite in einen Racherausch verfällt, weil keine Gegenwehr erfolgt.

  2. Ein absolut ehrliches Gespräch kann das gegenseitige Verständnis so weit fördern, dass im Anschluss daran eine Wiedergutmachung und eventuell ein Neuanfang möglich sind. Sollte dabei aber eine der beiden Seiten Lügen und die andere Seite ahnt das, so werden die Gräben nur noch tiefer auch werden die Gräben mit Sicherheit tiefer, wenn eine Seite versucht, der anderen Schuld in die Schuhe schieben will, bzw. versucht deren Rolle mit Verzerrungen und Halbwahrheiten zu manipulieren. Ob dies Gespräch im Beisein einer neutralen Person erfolgen sollte oder besser unter vier Augen, hängt von dem Konflikt ab. Prinzipiell ist es egal welche Seite das Gespräch initiiert, wichtig ist dabei allerdings, dass versucht wird, dabei jede Schuldzuweisung zu vermeiden und ein wirkliches Interesse daran besteht den Konflikt zu lösen und nicht nur dran eine mögliche Rache oder die Folgen davon zu vermeiden. Auch sollte man vermeiden zu glauben man wisse, was die Gegenseite will, denn meist waren es erst Vorfestlegungen oder falsche Vorstellungen von der Gegenseite, die den Konflikt ausgelöst haben.
    Allerdings wird dies vorgehen häufig erschwert, weil das Vertrauen zwischen beiden Seiten nicht gegeben ist. Dann ist es nötig, das Gespräch in Stufen zu führen, in denen zunächst gegenseitiges Vertrauen aufgebaut wird. Auch dabei sind Lügen, Halbwahrheiten und Verzerrungen tabu.

Manche würden behaupten, dass es auch die Möglichkeit einer vernichtenden Rache gibt, aber diese müsste alle Freunde, Bekannte und Verwandte erfassen und zwar so dass diese nicht wiederum Rache nehmen, bzw. so dass nicht wiederum deren Freunde, Bekannte und Verwandte Rache nehmen. An der Aufzählung ist zu sehen, dass ein solcher Versuch illusorisch ist.



Dennoch bleibt verzeihen eine schwierige Angelegenheit, denn wer zu leicht verzeiht dem wird das verziehene wieder passieren, eventuell sogar von den gleichen Personen.



Ich für meine Teil habe bemerkt, dass ich dann, wenn ich betrogen, belogen oder hintergangen wurde oder man versucht hat mich zu manipulieren, das nur verzeihen kann, wenn die Tat eingestanden wird und sich aufrichtig entschuldigt wird. Und selbst dann braucht es Zeit.

Ein solches Eingeständnis und Entschuldigung hat natürlich keinerlei Bedeutung mehr, wenn der Person ihre Taten nachgewiesen wurden und davon auszugehen ist, dass eine Entschuldigung nur erfolgt um negative Folgen des „Ertappt sein's“ zu vermeiden.

Das bedeutet aber auch, dass es für ein Geständnis und eine Entschuldigung nur ein gewisses Zeitfenster gibt. - Ist dieses vorbei, wird sich die Beziehung zu dieser Person nie wieder normalisieren, weil davon auszugehen ist, dass sich diese Person nicht ändern wird.



In einem solchen Fall bin ich froh, wenn ich den Kontakt mit einer solchen Person für immer abbrechen kann.